Unterwegs nach Utopia Black & White Ego Scriptor Leidenschaft
Brunzreplik Teutschland Am Wegesrand Robert Creeley Die Spur des Bären
Jugend Jerry >an meine schwester< Fotoalben
Der Traum vom Frieden Die Farbe Rot Gedicht Kein Staat zu machen
What about the Schnitzel? Metapher Brief an Thomas... Der Neue Mensch
Rose der Unschuld Prinzip Hoffnung So good it hurts
Anmerkungen

 
UNTERWEGS NACH UTOPIA  III

für Günter Kunert

farbenprächtiges Durcheinander
ohne Frage
wenn die Sonne scheint
Pessimismus auf Wartestellung
Du
wenn Du lesen kannst
Du
mit Deinen traurigen Augen
Du
Gedichteschreiber Du
Auf der Flucht
(vielleicht)
findest Du Halme
- wirkliche -
die Dir ein weiches Lager bieten
auf dem Du Dich ausruhen kannst
Dich nicht verletzen mußt
in gläsernen Halmen
wo (vielleicht) Wärme
Dich hoffen läßt
und Du einen Weg findest
nach Utopia (III)

(Dezember 1985)


BRUNZREPLICK TEUTSCHLAND
 

Richterland
Henkerland
prustend aus
60 000 000 Arschlöchern
Politik (teutsch!)
breitet sich aus
nistet sich ein
in den Nischen und Ritzen
der Resthirne
dieses denkfaulen
sog. Volkes
Chaotenrepublik
bevölkert von
Zombies & Dummys
regiert von Analphabeten
mit akademischen Graden

Kotz mich an, Geliebte
daß ich ertrage
dieses Chaos
von Sauerkraut und Berufsverbot
...
...
...
 

(Fragment, 7.2.1986)


JUGEND
 

Jugend ist gut, aber ich
bin besser!
Ich möcht nicht noch mal zwanzig sein,
aber so verliebt wie heute...!
                   Störungen
                   im Hormonhaushalt;
                   vergiß es!
Aber immer noch Freude
an NEUEM. - Was immer das ist.
Die Stirn nicht bekränzt mit
jugendlichem Lorbeer...
vielmehr (ein wenig zumindest) grau.
                   Ich bin wie ich bin!
                   Und das
                   ist gut so!
Noch einmal neu anfangen?
Nee! das nu wirklich nicht!
Schöne Aussichten sind das! rundumerneuerte
Jugend; oder was man dafür
hält... Hält mich nun wiederum
nicht davon ab,
mich zeitlos zu fühlen (bzw
kein Alter zu haben).
Gegenverkehr
- wir stoßen schon nicht zusammen;
vielleicht
ergänzen wir uns sogar; vielleicht!
Oder auch nicht
...
...
...

(Fragment; 9.2.1986)


DER TRAUM VOM FRIEDEN
 

Niemals sah ich einen Gestreßten eine Blume berühren
Niemals sah ich einen Geschäftigen die innere Ruhe finden
Niemals sah ich das Ende meines Traums, meines Traums vom
        Ende dieser unzulänglichen Welt
Niemals sah ich Freundlichkeit auf den Gesichtern der
        Politiker bei den Abrüstungsverhandlungen
Ich sah einen Freund - so bedient von uns allen, daß seine
        Augen nicht trocken werden wollten (Ich hoffe, daß
        er morgen die Sonne wieder sieht)
Ich sah Ströme von Blut über unschuldige Kinder fließen
Ich sah die Anzeige: ES LEBT SICH HEUTE GUT IN EINER
        MODERNEN ARMEE - daneben Fotografien von ver-
        stümmelten Zivilisten
Ich sah die roten Schatten an den Wänden der Häuser in
        Hiroshima
Ich sah Raketenwälder wachsen dort, wo ich einst als Kind
        mit Freunden in einem 'richtigen' Wald spielte
Ich sah das Vergangene, ich sah das Gegenwärtige und ich
        sah das werden, was in dem starren, unbeteiligten
        Blick des Vorübergehenden stand
Ich sah den 'Kleinen Prinzen' in vielen Leuten und fühlte
        mich glücklich
Ich sah die Leute mich verspotten, über mich lachen und
        fühlte mich (trotzdem) glücklich
Ich sah die Gutmeinenden mich warnen, aber ich konnte nicht
        auf sie hören
Ich sah das Gesicht eines Menschen...
Ich sah den Traum vom Frieden

ein manchmal dunkles Bild

(6.2.1986)


WHAT ABOUT THE SCHNITZEL?
 
 

Wie sind sie nur so schön
herausgeputzt - diese Feiertagstiere -
auf dem Osterspaziergang
teuflisch anzusehen wie sie die Natur
verunstalten mit ihren mickrigen Gestalten

Tränensäcke grüßen Triefnasen
Dickbauch reibt sich an Knochensusi
Schlecht ist mir sowieso schon
Warum zum Teufel muß ich
mir auch das noch antun?

Nie wieder Natur so schön
herausgeputzt wie diese sog. Menschen
auf ihrem ekelerregenden 'Osterspaziergang'
Nie wieder diese Schnitzelgestalten!
Wo sind die Bäume? Wo ist das Gras?

(Ostern 1986)


ROSE DER UNSCHULD
 

Spreiz die Beine
öffne dich meinem Begehren
zeig deine Lust
und vergiß nicht zu hoffen
daß dieser einzige Moment
der Anfang einer Kette ist
von vielen Momenten
__________________________

Sagt der indianische Großvater
in Arthur Penn's 'Little Big Man':
»Zeigt sie freudige Begeisterung,
wenn du sie besteigst?«
- O guter Mann,
das ist nur ein schwaches Wort!
__________________________

Und aus dem Schatten heraus
tritt bedrohlich und furchterregend
dein Geschlecht,
nicht
mich zu verschlingen,
nein,
zu befreien und emporzuwerfen
ist es erschienen;
emporzuwerfen in Gegenden,
die sprachlos sind.

(4.4.1986)


BLACK & WHITE
 

ich bin ein Kommunist
ich bin ein Zigeuner
ich bin ein Jude
ich bin ein Türke
ich bin ein Indianer
ich bin ein Neger
ich bin ein Arbeitsloser
ich bin ein Homosexueller
ich bin der, den ihr nicht ausstehen könnt
ich bin der, mit dem ihr nicht gesehen werden wollt
ich bin der, dem ihr aus dem Weg geht
ich bin der, den ihr verfolgt
ich bin ein Asylant
ich bin der Bettler am Straßenrand

ihr werft mich ins Gefängnis
ihr steckt mich in die Gaskammern
ihr rottet mein Volk aus
ihr verachtet mich
ihr schiebt mich ab
ihr drängt mich an den Rand der Gesellschaft
ihr findet kein gutes Wort für mich

ihr seid einfach zu gut für mich

wie soll ich euch in die Augen schauen können
wenn ihr in mir nicht euern Bruder seht

wie könnt ihr euch achten
wenn ihr mich verspottet

wie könnt ihr euch freuen
wenn ihr Witze über mich reißt

wie könnt ihr in den Spiegel schauen
wenn ihr mein Elend nicht sehen wollt

es ist schwer
den Traum zu einem Ende zu träumen
denn wo ist die Rechtfertigung
meiner Wünsche

es gibt eine Hoffnung
es gibt eine Hoffnung
so lange es Menschen gibt wie ihn
wie Martin Luther King
Menschen, die zeigen, daß wir im Recht sind
mit unseren Träumen
und daß der Tag kommen wird
wo die Träume Wirklichkeit werden
und der Neger kein Neger mehr ist
der Asylant kein Asylant
der Türke kein Türke

träumen wir, daß dieser Tag kommt
an dem die Unterschiede verschwunden sind
an dem es nur noch MENSCHEN gibt

(Juli 1986)


AM WEGESRAND

 
             ein Rehlein

ich fand

         mit blauen Augen

in die ich versank

                   bis ich nasse Füße bekam

und ging

         - wohin?
 
 

(Juni 1987)


JERRY
 

ICH kann dich nicht beschreiben
deine Art
dein Wesen
deine Bewegungen
- blöd auch, sich irgendwie
menschlich
an ein TIER
heranzutasten -
                aber wie sonst?
                auf welche Weise?
unverständlich auch
von einem Kumpel zu reden
mit dem gemeinsam ICH
auf Jagd gehe
              Nachtfalter
              erlegen
und unsere Befriedigung dann
(komplizenhaft, männlich irgendwie)
wenn wir das Objekt erlegt haben
 

(Fragment, 7.7.87)


DIE FARBE ROT
 

Rot wie - na ja was denn?
wien Rotweinfleck vielleicht?
Oder wie Blut?

- So viele Fragen
und keine Antwort.

Ein auf der Flucht erschossener
Killer
erscheint mir im nächtlichen Traum;
am nächsten Tag
muß ich das Bettzeug wechseln.
So ist das nun mal!

Rot wie mein Lieblingshemd
 

(Oktober 1987)


METAPHER
 

keine Konturen
am Himmel -
nur
dieses verwaschene Blau
wie mein Hemd
das mir schon
jahrelang
gute Dienste tut
Ich mag es nicht
missen
ebensowenig
wie diesen Himmel
 

(Oktober 1987)


PRINZIP HOFFNUNG
 

es ist nur die Leere
das Vakuum im Hirn
und auch anderswo
es ist nur die Leere

es gibt keine Rettung
für meine verlorenen Gedanken
die ziel- und formlos verdunsten
es gibt keine Rettung

die Ursachen bleiben im Dunkeln
es gibt kein Überleben
in der dünnen Luft meiner Sätze
die Ursachen bleiben im Dunkeln

das Prinzip Hoffnung scheitert
die Schönheit der Butterblume
bleibt auf ewig verborgen
das Prinzip Hoffnung scheitert
 

(29.10.1987)


EGO SCRIPTOR
 

noch bin ich nicht alt
noch habe ich die Maske nicht abgesetzt
noch vermag ich einen schönen Mädchenkörper zu bewundern

die Zeit macht Sprünge
und kommt
auf dem Kopf zum Stillstand

das Leben ändert sich nicht
auch wenn ich mir
die Pulsadern aufschneide

die Musik ist aufgedreht
bis zur Schmerzgrenze
ich bin abgeschirmt vom Lärm der Tage
 

                   1

                   ein süßes Gesicht
                   (niemand kann es auf
                   andere Weise
                   benennen)
                   - klein
                   geschmeidig
                   (blond natürlich)
                   wendet den Blick gen Osten
                   und läßt die Sonne reden

dieses Ged/s/icht
fern / nah

                   läßt mich spucken
                   auf meine Regierung

...and the land of the FREE...
 

2

Zeit geopfert
den schmierigen Kröten
aufgebläht

                   Ekel
                   bauchwärts gewandt

Trommelwirbel

              das Erbrochene  /
                             / stell keine Fragen

die Zeit ists
die Verhältnisse

                             der Staat
 

3

                             diese Augen
                             dieses Lachen
                             diese Worte

dieses
und die nicht zu berechnende Zärtlichkeit

unaufgefordert erschienen
                   (nicht gerufen)
                             (nicht bezahlt)

»Wenn das nicht Liebe ist...!«
 
 

4

gebeugt vom Druck vieler Hände
das Rückgrat  n o c h   n i c h t  gebrochen
                   doch WER spricht
                   und pflanzt das Gift blöder Worte
                   in mein verkümmerndes Herz

- so redet ein ANDERER
             nicht ICH

                   meine Stimmen verkünden:
                   ICH bin DU - und:

         Ich bin NIEMAND

   Sage mir, Muse, die Thaten des vielgewanderten Mannes,
Welcher so weit geirrt, nach der heiligen Troja Zerstörung,
Vieler Menschen Städte gesehn, und Sitte gelernt hat,
Und auf dem Meere so viel' unnennbare Leiden erduldet,
Seine Seele zu retten, und seiner Freunde Zurückkunft.
Aber die Freunde rettet' er nicht, wie eifrig er strebte;
Denn sie bereiteten selbst durch Missethat ihr Verderben:
Thoren! welche die Rinder des hohen Sonnenbeherrschers
Schlachteten; siehe, der Gott nahm ihnen den Tag der Zurückkunft.
Sage hiervon auch uns ein weniges, Tochter Kronions.

                   ein uralter Beginn
doch ein neuer Anfang
                   für MICH (ICH?)
 

5

                             die Zunge gespalten
Fragwürdigkeiten ins Herz gesäht
                             wie soll es enden
                             wenn die Wahrheit
                             verschlossen bleibt

                   gescheitert, gekentert

                             NIEMAND
 

6

          & JEDES WORT
          IST EIN IRRTUM
 

7

und spricht sein
EGO SCRIPTOR
 

8

und wenn dann nur noch zu hören sind
die Stimmen und die Musik
(die Zeichen erblindet)
                   nur noch
                   eine kleine Flamme
         entzündet die
Glut (Lebenswille?)
                   Worte - LEGO-Bausteine
                   einer industrialisierten Kultur
                   Kommunikation? - Verständigung?
                   Nichts da!
                              Nur das Rätsel
                   LEBEN (oder so ähnlich)
die Formen verschwinden
wie die Ringe im Wasser
         dunkelgrün
         zurückgeführt zu den Felsen
         dort
         Carnac
                   die Richtung
                   angegeben
                   und doch verirrt

und der Dichter
schaut aus dem Fenster
über das Land

und es stört:
das lichtverfälschende Glas

                   WIRBEL IM WORTKERN
 

9

dreht sich um die eigene Achse
(Mittelpunkt der Welt?)

                   dieses Gesicht
                   wenn es lacht

eine Frau
     das ist viel
         und ich fühl mich
                     geheilt

das ist: Leben und sonst nichts
also: ALLES
 

10

                             Grün - das vor allem
        Herkunft                  (die wichtigste Farbe)
                             Gespenster und Geister
                                  (unheimlich jedenfalls)

Aufwärts wird das Tal immer enger; bei Finnentrop kommt es zum paßähnlichen Übergang. Hier, an den Berghängen muß es passiert sein, daß einst dem Teufel auf seinem Flug zur Hölle der Sack platzte. Heraus fielen die Lennejunker de Pepersack, Waschpennig, Schüngel, Schade, dat Strick, Ziegenbart, de Ohnbescheyden, Schnapümme, Packstroh, Jagedüvel, und wie die kleinadeligen Ausbeuter alle hießen.
Walter Bermich, Das Sauerland, Köln 1975, Seite 194

...was soll man da noch sagen?
 

11

bläht die Segel auf
mit einer nie gekannten Kraft
seiner Lungen

                   die Kälte
                   schnürt den Silben
                   die Kehle zu

wer bin ich?
jemand, der schreibt?
 

12

Fortsetzung folgt (vielleicht)
 
 


ROBERT CREELEY
 

zuerst: Gedichte - dann:
ein Foto - und als
erster Eindruck:
s c h r ä g
             - aber auch alles
der Körper
die Brille
(also:
die Haltung
            insgesamt)
Über der rechten
Augenbraue:
            - Falten
Der Mund
geöffnet für
Worte / WORDS / Worte
(was auch immer)
In der linken Hand
die angerauchte Zigarette
(ists Dir nicht warm
in dem dicken Pullover?)
Der Sessel
scheint sehr bequem
Sprichst Du
zu Dir selbst
oder zu einem
ANDEREN
        Deine recht Hand
        scheint schwere Last
        zu tragen
        an Deinem
                  Kopf
 

So sanft
die Augen:
           Was sehen sie
           in Dir?
Conclusio:
OFFEN
für die Welt
für Dich
für den / das Gegenüber
Mein Wunsch:
Deine Augen
(dein Auge)
zu sehen
 

(9.3.1988)


»AN MEINE SCHWESTER...«
 
 

Wühl nicht im Urschlamm
zeuge dich (selbst!)
und vertrau deine Botschaft
dem Wasser an
              meine Schwester
              nicht-verwandt
Kronzeugin - meine Unschuld
 

(Juni 1988)


GEDICHT
 
 
 

und das kleine mädchen tanzt

reicht mir ihre kleine hand

führt mich ins buchstabenland

und das kleine mädchen tanzt
 
 

(28.6.1988)


BRIEF AN THOMAS, geschrieben
(nach einigen Mißverständnissen)
in der MANIER von GERHARDT und OLSON

 

also auch Du:
ein unlängst angekommener 'Bärensohn' aus dem Norden
- gestrandet?
Verfrüht wärs zu sagen: Du hast WURZEL geschlagen

Gebunden durch Vielfältiges (nicht frei?)
behindert durch Bürokratie
in der Welt der Silben/Worte/Sätze
                                   zu Hause (?)
                                   (Heimat - vielleicht)
in dieser unheimlich gemütlichen Stadt

Ach, Mann, der
meinen Weg gekreuzt
         Laß Dein Wohlleben nicht beeinträchtigen
         von diesen streunenden Kötern
         die so stolz sind
         auf die abgenagten Knochen
         die andere beiseite warfen
Sei mutig!

Was gereicht zur Ehre dem
der hinter die Worte schaut
dort Dinge sieht
die sich erschließen nur dem
der liebt  /?/!/

Laß das Wort
Dir Ehre genug sein!

Or come here
where we will welcome you
with nothing but what is, with
no useful allusions, with no birds
but those we stone, nothing to eat
but ourselves, no end and no beginning, I assure you, yet
not at all primitive, living as we do in a space we do not
need to contrive

And with the predecessors who, thougth they are not our
nouns, the verbs
are like!

So we are possessed of what you cry over, time
and magic numbers

          Language,
          my enemie,
          is no such system

(Charles Olson)

Von den eigenen Schwierigkeiten zu reden
steht mir nicht an
Da hilft nur weiter
der Genuß eines historisch-verallgemeinernden Trostes:
Alle haben einmal angefangen.
Und jetzt kann ich mir aussuchen:
bin ich nun:
             Nichtschwimmer
             Jungfrau
             Analphabet
             Rekrut

Ist es wirklich
Furchtsamkeit in geistigen Dingen?

Laß mir Zeit!
Ich werde schreiben!
Es gibt keine Schwierigkeit
die nicht überwunden werden kann!
_________________________________________________________________________

esta carta que enviaré jamás
tiene delicias y tristezas
y cuando la leías
te ponías muy dulce

(Juan Gelman)

_________________________________________________________________________

Ja!
Thomas!
Es ist alles so einfach.
Briefe kommen an - oder nicht.
Das, was zählt, ist:
to get it straight, right
from the start.
(Charles Olson)


Brief an Thomas M. Scheerer, Professor für Romanische Literaturwissenschaft an der hiesigen Universität. - Nicht gekennzeichnete Zitate aus seiner Schrift 'Phantasielösungen', Reinbach-Merzbach 1982, Seite 113.

 


SO GOOD IT HURTS
 

ein Glas saurer Milch in der Hand
ein Schlangenbiß in der Zunge
                   so good it hurts
oben in den Wolken
unten in den Gräben
verschwinden in den Nebeln
                   so good it hurts
in die Sonne fliegen
im Dunkeln kämpfen
Kraft hilft siegen
kein Maler malt dies Bild
                   so good it hurts
die Knöpfe fliegen mir vom Hemd
die Knie zersplittern
ein Stern geht auf in meiner Brust
der Kopf ist ein Harmonium
in zerfalle in sieben Teile
                   so good it hurts
wann endet dieser Schlaf / Traum
 

(22.8.1988)


LEIDENSCHAFT
 

im Totenwald
stürmt Rumpelstilzchen
erregt von einer schönen Frau
schnurstracks
auf ein hell loderndes Feuer zu
wirft sich hinein
und wird zu Asche
aber es kommt
wies kommen mußte
die Auferstehung
läßt nicht lange
auf sich warten
und mein Freund
bleibt ewig
schattenlos
schattenlos
wie eine Leiche
bunt geschmückt
mit vielen Blumen
kitschig fast
doch
klar zu deuten
als
Rumpelstilzchen
Asche aus Asche
und nie mehr
wird er
um ein Feuer springen
seine Liebste
zu verführen...

(20.11.1988)


DIE SPUR DES BÄREN
 

ist nicht mehr zu finden, aber
                          - irgendwann
hat er die Wälder dieses Berglandes
verunsichert / gesichert
ausgestorben zu seiner Zeit:
zu früh / zu spät

                   Auf seine lebenssichernde Kraft
                   muß ich
                   heute
                   verzichten
 

         I C H
 

der ich nicht wage
sein Erbe anzutreten
 

Zu meiner Zeit:
nur vereinzelt Wildschweine
anzutreffen
 

Nichts
an das ich mich halten könnte
 
 

Aus den Wäldern

                 N A H R U N G
 
                                erhalten
für wenige Tage des Jahres
(die glücklichsten)
um dann zu leben von
Nachgeahmtem / Künstlichem
Nichts, in das ich
meine Zähne schlagen könnte
 
 
 

                        Ein Band aus Beton
                        geschlagen
                        um sanfte Rundungen
                        AUTO-BAHN
                        Der verwirrte Hirsch
                        springt
                        meilenweit
                        um sein Leben
 

Keine Rettung
nirgendwo
O Land                      Nur meine wahnsinnigen
Heimat                      Litaneien
ja doch                     kann ich dir
verfluchte Gegend           entgegenschreien
was soll ich hier
 
 
 
 
 

    d u   h ö r s t   m i c h   n i c h t
 
 
 

                   die Blödheit der Menschen
                   dort (hier?)
                   - nicht zu übertreffen
                   : sie wehren sich nicht
                   sie rufen die Verbrecher
                   die
                   die ihr Land zerstören
 
 
 
 
 
 

Kamikaze - Land
 
 
 
 
 

                        Wohr, schlicht un echt,

                        am rechten Platze hart,

                        is Siuerlandsart.
 

Christine Koch

 

Laß doch deine Wut
produktiv werden
sag ich immer
              andere belehrend

aber ich
ich lebe hier in dieser Stadt
600 km entfernt
von meinem (???) eigentlichen (???) Ort
 
 

Was hat dieses Land
hervorgebracht?
: einen debilen Präsidenten
(und mich)
 
 

Nie
werde ich zurückkehren
 
 

Nie
werde ich meine Wurzeln
aus deiner Erde
lösen können
 
 

Nie
werde ich zurückkehren
 
 
 

Nie?

Es soll Menschen geben, die einen Hirsch mit einem Elch verwechseln, ein Reh mit einem Hund, ein Schaf mit einer Ziege. Was soll's, sie werden schon noch dahinterkommen. Ich weiß nicht gewiß, ob es das heute noch gibt: Der kommt aus dem Sauerland, den darfst du nicht fragen, der ist doch ein Hinterwäldler. Und wenn es das noch geben sollte - Vorurteile halten sich bekanntlich am hartnäckigsten -, dann hat es bestimmt seine frühere Bedeutung verloren.
Ja, es gibt noch schöne Ecken in Deutschland. Das Sauerland ist eine davon.

(Max von der Grün)

*************************************************************

 

(November 1988)


FOTOALBEN
 
 
 

Selbstklebend

Leder

Hochzeit

Geburt

(für jeden Anlaß)
 
 

_____________________________________________________________

gefunden in der Victoria-Passage in Augsburg am 24.7.1989
_____________________________________________________________


KEIN STAAT ZU MACHEN
 

dedicated to Jack Daniels

 

wie leicht opfern wir doch
unsere Zeit und das was wir lieben
dieser fremden Bestimmung
diesem Gesindel, das sich anschickt
unsere Ideen und Körper
                        zu verwursten
                        in diesem überdimensionierten
                        Schlachthof
              Staat genannt
 

1
das klappernde Gerippe
des Ober-Anführers
das feiste Grinsen
                   dieser Un-Person
         dieser Bubi
         mit dem blöden Blick
Schnaps her!
Ich verlier sonst meine (ohnehin
                         nur mühsam
                         errungene)
Beherrschung

Schwester!
Bruder!
Legt euch zu mir
dies Elend zu ertränken
diesen Sarg
an uns vorüberziehen zu lassen
 

2
gebeugt unter der Last der Jahre
Tage
Stunden
ohne Hoffnung & Ziel
es sei...
es sei denn...
es sei denn es sei möglich
das verbogene Rückgrat aufzurichten

- und die Fahne flattert im Wind
 

3   (Selbstgespräch)
Komm her, Opa
hör auf zu kämpfen
du fällst sonst in dein Grab
brichst dir einen wertvollen Knochen
die Ratte nagt ihn ab
und schmatzt und rülpst
und tut sich gütlich
an deinen Resten
überlaß doch deinen Platz
den 'Nachgeborenen'
die es besser können
du ranzige Nachahmung
eines verhinderten Straßenkämpfers
mit Schuppen im Haar und Mundgeruch

die Welt gehört den Jungen

                               Prost Mahlzeit!
 

4   (ban the bomb)
dein Lied, Ed Sanders,
ist schön
          Ich hör es gern und -
          vielleicht -
es gibt mir Kraft zur Arbeit
jeden Tag ein paar Minuten
eine Stunde (wenn möglich)

Gefühl - weder falsch noch richtig
einfach nur da

was bleibt ist
ein Lehrsatz der Vernunft:

Gefühl bewegt
 

5
die Arbeit
die zu machen ist & bleibt:
zu schreiben die
Enzyklopädie der zivilen,
militärischen und sonstigen Verbrechen
unseres Staates

als Lose-Blatt-Sammlung
steht sie neben den Gesetzen
auf unserem Bücherregal
mahnt und droht

                   o Kinder!
                   eine un- und übermenschliche Arbeit

Dennoch:
welch andere Ideen und Aufgaben
sind nötig? / bleiben uns noch?

Und:
was sonst können wir tun?
welche Fähigkeiten haben wir?

Traum:
all diesen Gestalten, die so tun
                                  als ob
                als ob
sie uns regieren
                 einmal
                        einmal nur
kräftig in die Eier treten können...

Doch:
ein Traum
bleibt ein Traum bleibt ein Traum

Wenn:
ja wenn wir nicht immer wieder und wieder
und wieder und wieder träumen

                   Spitzen
                   wir unsere Bleistifte
                   und treiben sie dorthin
                   wo sie hingehören
                   wo ihr Endziel ist

Du kennst es, Bruder!

Ja:
frisch & abgehangen
fromm & unmoralisch
fröhlich & frech
frei & unabhängig

So:
Brüder & Schwestern
laßt uns durchs Leben gehn
 

6
Kein Staat zu machen
mit diesem Staat

7
keeping the issues alive
                                            

(September 1989)


DER NEUE MENSCH
 

keine Augen, keine Ohren
keine Nase, kein Mund -
ein Stein dort
wo ehemals
ein Kopf war
             - geschlechtslos
             dumpf
             Mr. No Name
 

Faß mich nicht an - du
du Monstrum
            sprich kein Wort
            behalt deinen stinkenden Atem
            in deinen zerfressenen Lungen
 

Wurm! elender
 

                                  EisenHerz
                                  (der entjungferte Prinz)
 

Totenglocken läuten
und der Leichenzug (dein Leichenzug)
erscheint am Horizont der Neuen Zeit
 

keine Schrift
im ungeordneten Erbe
kein Traumgebilde
keine Musik
 

                        das Zirpen der Grillen
                        das Rauschen der Bäume
                        der Mond im blutigen Wolkenbett
                        die vielfältigen Farben des Meeres
dies alles:
es bleibt dir verborgen
und dringt nicht ein
in dir zu wohnen
 

der Abschied von dir
ein Fest
und ein Beginn
(für mich)


ANMERKUNGEN

Gedichte! - Alles das, was übriggeblieben ist aus den Jahren 1975 bis 1990. Es ist ein Querschnitt - der Rest ist vernichtet: also der weitaus überwiegende Teil der Produktion. Ist wirklich nicht weiter schade! - Das Motto von Charles Olson ist mir sehr wichtig.

'Für Phantasie!': 1979 für eine 'alternative' Schülerzeitschrift geschrieben.
'Gedicht für Julia': entstanden im Januar 1974, überarbeitet im Juli 1976; unter dem Titel 'Gedicht für eine Unbekannte' in: Gesammelte Gedichte, Augsburg 1983 (Privatdruck, 100 Exemplare). - Versteckt im Gedicht finden sich Zitate von The Who, Howard Hawks: Red Line 7000 und Wolf-Eckart Bühler.
Die folgenden Gedichte entstanden zwischen 1977 und 1983.
'Mercedes' - 'Erinnerung. Fragment': Diese Gedichte versuchen, die Erfahrungen einer Liebe zu erfassen. Entstanden zwischen September 1984 und Mai 1985. In diesen Gedichten gibt es einige Zitate (wo - da ist der Detektiv gefragt!); z.B. von Thomas Bernhard, Hölderlin, aus den Orphischen Hymnen, Robert Creeley, u.a. - Das Gedicht von Hans Magnus Enzensberger sollte a.a.O. nachgelesen werden.
'Zwanzig Vierzeiler über mich und das was mich angeht': ent-standen zwischen: 28.7.1985 und: 1.9.1985.
'Forever Young' / 'Dark Eyes' / 'Shelter From The Storm' / Sad Eyed Lady Of The Lowlands' / 'Just Like A Woman': Die Texte entstanden im Sommer und im Herbst 1985. Ein erneuter Liebesversuch. Und erneut das Bemühen, ihn poetisch in den Griff zu bekommen. Gleichzeitig sollen diese Gedichte aber auch auf das Projekt POETISCHE FRAGMENTE hinweisen, das seit 1985 entsteht und noch lange nicht abgeschlossen ist. - Die Titel der Gedichte stammen von Bob Dylan. Er hat Pate gestanden. - Desweiteren gibt es Anspielungen auf und Zitate von Petrarca, Ezra Pound, u.a.
Zu 'Gedicht für Katharina...': vgl. Anmerkung auf Seite 120.
Die folgenden Gedichte entstanden 'als Fingerübungen' in den Jahren 1985-1990. Sie sind nicht so sehr von Bedeutung. - Was allein zählt: sind die Texte der Poetischen Fragmente!