zurück

Anhang:
Aus einem Brief an Hartmut Schnell

                                                                                                    (hier hast Du ein Statement)

Mit geht es beim Schreiben nicht um Literatur, auch nicht in der Abkehr von dem Begriff Literatur um eine Anti-Literatur. In Deutschland ist der Begriff Literatur so mächtig ins Bewußtsein eingehämmert, daß kaum noch zu sehen ist, daß ein Gedicht niemals, ebensowenig wie ein Roman, eine Erzählung, ausschließlich sich selbst meint — Es ist einfach ein Ausdruck von einem Menschen, einer einzelnen Person, oder der Versuch, sich zu äußern, wie er die Umwelt sieht, was er für Schwierigkeiten und Entzückungen hat, und deswegen interessiert mich Stil, interessieren mich Formprobleme gar nicht, — ich würde eher sagen, daß Form ein Gefühl von Offenheit verhindert.

Deswegen versuche ich auch beim Schreiben mich offenzuhalten für Zufälliges, und es ist mir egal, ob dabei ein Sinn undeutlich wird. Beim Schreiben stellt sich rasch nach einiger Zeit ein Zwang ein, einfach dadurch, daß bereits soundsoviel auf dem Papier steht, und gegen den Zwang, daß schon eine Quantität verbundener Wörter auf dem Papier steht, ist die Hereinnahme des Zufälligen, im Augenblick beim Schreiben Wahrgenommenen nützlich, es macht einfach Sprünge und Lockerheit möglich gegen den Sinnzwang, der durch Quantität entsteht. Es gibt keine Folgerichtigkeit, oder wie Fritz Mauthner sagt: «Widersprüche gibst nur in der Sprache,» das heißt: im alltäglichen gelebten zu lebenden Leben entstehen nur Widersprüche auf Grund von Wörter, Sätzen, wenn jemand sich auf Wörter bezieht, Logik ist Sprachlogik und Ordnung, aber sie verstümmelt die lebendige Körperbewegung.

In der deutschen Sprache sind Begriffe wie Literatur, Kultur, Kunst Schlagwörter. Zuerst kommt immer Literatur, Kultur, Kunst uws. und dann erst Leben, Lebendigkeit. Ich für mich kann das nicht akzeptieren. Und deswegen bin ich auch schludrig und schlampig gegenüber Literatur, Kultur Ziviehlisation Viehlologie, Kunst, usw.

Aufgewachsen bin ich wie jeder unter diesen terroristischen Oberbegriffen, und ich habe anfangs dauernd Anstrengungen gemacht, Literatur zu machen, Kunst zu machen. Mit dem ersten Gedichtband Was fraglich ist wofür habe ich Gedichte einfach ohne diese bewußte Anstrengung, Kunst zu machen, geschrieben. Das war ein Anfang. Dann kam später wieder der Terror der Oberbegriffe auch mich zu, diesmal in Form des Kulturbetriebes, nachdem ich den Roman und den Gedichtband Die Piloten veröffentlicht hatte. Aber selbst mit den von mir herausgegebenen Anthologien amerikanischer jüngerer Literatur, Prosa, Gedichte, Essays, habe ich nicht einen Beitrag zur Literatur machen wollen. Ich mag deswegen die neuere amerikanische Literatur, weil sie viel weniger von Oberbegriffen gelengt und bestimmt wird. Das habe ich jedenfalls aus der amerikanischen Literatur gelernt. Form heißt im Abendland immer Zwang, eine Stilisierung des Wahrgenommenen, Erlebten, — aber wenn die Form zufällig gehandhabt wird, kommt wieder Schwung in die alte klapprige Kiste Literatur, und macht dadurch klar, daß es bei keinem Buch darauf ankommt, bei keinem Gedicht darauf ankommt, ob es sich um Literatur handelt oder nicht.

Warum nicht mit den Gedanken herumschweifen? Die Anstrengung, das was auf dem inneren Bildschirm, dem Bewußtseins und Gefühlsbildschirm erscheint, ist schon Anstrengung genug, wenn man aufschreiben will, was da vorüberzieht, — warum noch eine Anstrengung der Form, des Stils auf sich nehmen, bloß weil es das Wort Literatur gibt?

Das genaue Bild, das genaue Wort, das genaue Wahrgenommene, Erlebte, «no Ideas but in things,» wie W.C.Williams sagt, oder wie A. Korziybski sagt: «when in perplexity, read on.» Aber alle Genauigkeit gilt nur für einen bestimmten Moment, nicht für eine Ewigkeit. Das sagen auch alle gelungenen und alle nicht gelungenen Gedichte, die gelungenen Gedichte sagen das genau.

Sprache ist ein Hilfmittel, eine Krücke, und fraglich ist wofür. Wofür braucht man Krücken? Um zu leben, in der Gegenwart? Fraglich ist, ob Sprache noch länger das alleinige Kommunikationsmittel ist. Die Gedanken sind oft schneller als die Zunge, aber eine Zunge ist unter Umständen viel sinnlicher. Ich möchte nicht in Sprache erstarren und auf Krücken herumgehen in einer Welt, die offen ist, trotz der vielen Zäune, Mauern, Wände. Wie oft habe ich erlebt, daß ein bestimmtes durch Wörter fixiertes Weltverständnis bei jemanden eine Stahlwand war, eine Mauer. Gedichte, so wie ich sie verstehe, sind spontane Äußerungen, spontane Stellungen, Einstellungen, Wahrnehmungen, Schnittpunkte. Das Zufällige lobe ich mehr als das Konstruierte, und die Grammatik ist ein Ordnungssystem, das oftmals übel ist und in Verbindung mit der bestehenden Ordnung der Dinge zu Gehirnverstümmelungen führt. Gedichte bringen manchmal zum Lachen, überraschen manchmal, sind einfach wie Rock-n-Rollieder. Die amerikanische Sprache hat das neu und überraschend ins Bewußtsein gebracht, und viele Rock-n-Rollieder sind direkte Poesie, die elektrisch verstärkt werden kann.

Was meine eigenen Gedichte sind? Sehr zufällig. Und wenn ein Gedicht gelungen ist, dann hat es keine Bedeutung als Gedicht. Ein Gedicht ist kein Fetisch des Bewußtseins. Ein Gedicht ist im besten Sinn Unterhaltung. Auch dieses Statement ist nicht absolut. (Briefe an Hartmut, Seite 140-142)
 
zurück