Das kleine, nur 24 x 21 cm messende Bild ist auf Leinwand gemalt. Ihre
Körnigkeit kommt der Technik Vermeers entgegen, und namentlich in
den Kompositionen, in denen der Farbauftrag nur dünn ist, die Lasuren
hauchzart, wirkt die körnige Textur des Leinens wie ein Nachklang
der duchlichteten Farbtupfen, die den Bildern ihre zauberhafte Körperlosigkeit
geben. Bei der >Spitzenklöpplerin< fließen unter dem blauen,
von der Camera obscura ganz nahe herange-rückten Kissen zur Linken
gelbe und rote Seidenfäden hervor. >Fließen im genauen Wortsinn,
denn das Farbgerinnsel auf der teppichbedeckten Tischplatte erzeugt die
Vorstellung einer Verflüssigung der Materie als Kontrast zu dem körnig-trockenen
Farbauftrag im Weiß des Kragens, dem Gelb der Jacke und dem lichtblauen
Klöppelkissen mit dem rosaschimmernden Streifen. Die malerische Verwandlung
der dinglichen Welt erinnert in diesem Stadium an die farbigen Metamorphosen
beim späten Rembrandt, in denen im Gruppenporträt der >Staalmeesters<
(1662, Amsterdam) die rote Tischdecke aufglüht und die Farben im Licht
zu schmelzen scheinen. —
Hier trifft das Licht — Ausnahmefall bei Vermeer
— von rechts auf die in ihre Arbeit ver-tiefte Klöpplerin, modelliert
die plastische Form des Kopfes kräftig heraus und läßt
die Ge-sichtszüge im Wechsel von hellen und dunklen Partien im Unbestimmten.
Wiederum ist auf die Fixierung des Raumes verzichtet. Vor lichtgrauem bis
ockerfarbenem Grund, in dem flächen-betonend wiederum die Künstlersignatur
einen eigenwilligen Akzent setzt, entwickelt sich die aus dem Dreieck gewonnene
Komposition. Der Knauf des Stickrahmens sowie die Tischkante mit Kissen
und Buch erscheinen vergleichsweise >plastisch<, während in der
Gestalt des Mäd-chens die >Tiefenschärfe< abnimmt und vollends
die Haarlocken fast in das Grau des Grundes übergehen. Was Wunder,
daß Renoir die >Spitzenklöpplerin< neben Watteaus >Einschiffung
nach Cythera< für das schönste Bild des Louvre hielt.
(aus: Ernst Günther Grimme: Jan Vermeer van Delft, Du Mont´s Neue Kunst-Reihe, Köln o.J.)